Canines Herpesvirus – Übersichtsstudie
„Canine herpesvirus-1 (CHV-1): A review of risk factors, prevalence, diagnosis and treatment“ (Ghorani et al., 2024)
Inhaltsverzeichnis
- 1. Hintergrund und virologische Einordnung
- 2. Übertragungswege und Latenz
- 3. Klinische Manifestationen
- 4. Diagnostische Verfahren
- 5. Prävalenz und epidemiologische Besonderheiten
- 6. Bedeutung für Zucht und Bestandsmanagement
- 7. Quellenhinweis
1. Hintergrund und virologische Einordnung
Canines Herpesvirus-1 (CHV-1) gehört zur Unterfamilie der Alphaherpesvirinae und wurde erstmals 1965 beschrieben. Es ist weltweit verbreitet und für verschiedene klinische Erscheinungsformen verantwortlich – von schwerer neonatale Sterblichkeit bis zu okulären oder reproduktiven Erkrankungen adulter Hunde.
Charakteristisch ist die Fähigkeit des Virus, nach einer Infektion in einen latenten Zustand überzugehen. In dieser Phase persistiert CHV-1 symptomlos in neuronalen und lymphatischen Geweben und kann bei Stress oder Immunsuppression reaktiviert werden. Diese Latenz macht das Virus in Mehrhundehaltungen und Zuchten besonders relevant.
2. Übertragungswege und Latenz
Die Hauptübertragung erfolgt peripartal über das Geburtsgeschehen. Weitere Infektionswege umfassen:
- Tröpfcheninfektion über Nasen- und Rachensekret
- venereal beim Deckakt
- transplazentar während der Trächtigkeit
- indirekt über kontaminierte Gegenstände (Fomiten)
Latente Träger sind ein zentraler Faktor für die Weiterverbreitung: Reaktivierung kann durch Transport, soziale Umstrukturierungen, Läufigkeit, Geburt oder Erkrankungen ausgelöst werden. In Zuchten kann dies zu unbemerkten Infektionsketten führen.
3. Klinische Manifestationen
3.1 Neonatale Erkrankung
Welpen sind besonders in den ersten drei Lebenswochen gefährdet. Die Infektion führt oft zu einer rasch verlaufenden, systemischen Erkrankung mit hoher Letalität. Typische Symptome umfassen Apathie, Trinkunlust, Bauchschmerzen, Atemnot oder plötzliche Todesfälle. Häufig bleibt das klinische Bild unspezifisch.
Die Prognose erkrankter Welpen ist trotz intensiver Bemühungen meist ungünstig, da die Virusreplikation bei niedriger Körpertemperatur optimal verläuft und therapeutische Optionen begrenzt sind.
3.2 Okuläre Erkrankungen adulter Hunde
In den letzten Jahren wurde CHV-1 zunehmend als Ursache chronischer oder wiederkehrender Augenerkrankungen beschrieben. Dazu gehören:
- Konjunktivitis
- Blepharitis
- ulcerative und nicht-ulcerative Keratitis
Das Krankheitsbild kann variieren, bilateral oder unilateral auftreten und zeigt bei immunsupprimierten Hunden häufig einen schwereren Verlauf. PCR aus Bindehaut- oder Hornhautproben liefert zuverlässige Diagnostik während aktiver Infektion.
3.3 Reproduktive Auswirkungen
CHV-1 ist seit Jahrzehnten als Ursache reproduktiver Verluste bekannt. Infektionen in der Trächtigkeit können zu Resorptionen, mumifizierten Föten, Aborten oder schwachen, nicht lebensfähigen Welpen führen. Die kritische Phase umfasst etwa drei Wochen vor bis drei Wochen nach dem Werfen.
Interessant ist der in der Literatur beschriebene „Reproduktions-Paradoxon“: Während CHV-1 zweifelsfrei reproduktive Schäden verursachen kann, zeigen viele serologische Studien keinen direkten Zusammenhang zwischen Antikörpertitern und Abortraten. Dies liegt daran, dass seropositive Hündinnen bereits einen Infektionskontakt hatten und ihre Welpen über Kolostrum schützen, während die gefährlichste Situation eine Primärinfektion seronegativer Hündinnen darstellt.
4. Diagnostische Verfahren
Die Diagnostik stützt sich auf unterschiedliche Methoden mit jeweils eigenen Stärken und Schwächen:
- PCR – Goldstandard zur Identifikation aktiver Infektionen; sensitiv in Abstrichen und Gewebe.
- Histopathologie – charakteristische nekrotisierende Läsionen und intranukleäre Einschlusskörperchen bei Welpen.
- Serologie (ELISA, SNT, IFA) – Hinweis auf früheren Kontakt, jedoch eingeschränkte Interpretierbarkeit durch schwache, kurzlebige Antikörperantwort.
Die Studie betont die Notwendigkeit standardisierter Testverfahren, da unterschiedliche Methoden zu erheblichen Abweichungen in der berichteten Prävalenz führen.
5. Prävalenz und epidemiologische Besonderheiten
Die weltweiten Seroprävalenzen variieren stark (20–85 %), was nicht nur regionale Unterschiede, sondern auch methodische Heterogenität widerspiegelt. Höhere Raten werden typischerweise in dicht besetzten Zuchten, Sheltern und Mehrhundehaltungen gefunden.
Ein wichtiger epidemiologischer Befund der Literatur: Seropositivität bedeutet nicht automatisch ein erhöhtes reproduktives Risiko – im Gegenteil kann sie in endemischen Beständen sogar protektiv wirken.
6. Bedeutung für Zucht und Bestandsmanagement
Die Publikation zeigt deutlich, dass CHV-1 in der Hundezucht weniger als „Einzelereignis“ zu verstehen ist, sondern vielmehr als komplexes Zusammenspiel aus Virusbiologie, Bestandsstruktur, Latenz und Immunstatus.
Für die Praxis besonders relevant:
- Neonatale Erkrankungen treten v. a. in naiven Beständen auf.
- Hohe Antikörpertiter erwachsener Hunde können den Nachwuchs schützen.
- Stress und hohe Bestandsdichte begünstigen Reaktivierung und Weitergabe.
- Diagnostik sollte in Fällen ungeklärter reproduktiver Störungen oder chronischer okulärer Erkrankungen erwogen werden.
- Die Impfung tragender Hündinnen ist ein mögliches Werkzeug in Beständen mit erhöhtem Risiko.
Die Studie unterstreicht die Bedeutung eines fundierten Verständnisses der Latenzmechanismen und ruft zu weiteren Forschungsarbeiten zu Diagnostik, Impfstrategien und antiviralen Therapien auf.
7. Quellenhinweis
Ghorani, M., Javaheri, A. M. N., Shirafkan, M., Soleimani, S. & Bakhtiari, H. (2024): Canine herpesvirus-1 (CHV-1): A review of risk factors, prevalence, diagnosis and treatment. Veterinary Medicine and Science. Wiley. DOI: 10.1002/vms3.70682.
